Samstag, 25. Juni 2011

Personal Branding

Wer in der heutigen Welt etwas werden möchte, der braucht eine "Eigenmarke". Der Fachbegriff lautet "Personal Branding". Irgendwie scheint alle Welt diesen Blödsinn als Fakt zu akzeptieren. Worum geht es eigentlich?

Darum, dass der moderne Mensch sich längst von der Vorstellung verabschiedet hat, nach der Ausbildung bzw. dem Studium einen Job für's Leben zu ergattern und in diesem glücklich zu werden. Stattdessen hüpft er von einer Tätigkeit zur nächsten, macht sich selbstständig, arbeitet an Projekten mit, lässt sich kurzzeitig wieder einstellen usw. Berufsvagabunden oder Jobnomaden werden sie genannt - was übrigens eher ein Zeichen dafür ist, dass diese "Lebensform" bisher alles andere als normal ist. Warum sollte man sonst einen eigenen Namen hierfür erfinden?

Egal - wer sich nicht mehr über eine bestimmte Position oder einen "Beruf" definiert, der muss durch seine "Marke" überzeugen. Und die baut er heutzutage im Internet auf. Facebook, Xing, Twitter, Linkedin sei Dank. Hier pflegt man seinen Lebenslauf, sein Image, seine Fotos, seine Kompetenzen - man baut sich eine Marke auf, etwas, für das man steht, das einen unverwechselbar macht.

Längst reicht es offenbar nicht mehr, eine unverwechselbare Persönlichkeit zu sein mit einem einzigartigen Lebenslauf (oder kennen Sie zwei Menschen mit identischem Lebenslauf?), man muss die Eigenmarke hegen und pflegen.

Ich finde dieses Bild der Markenbildung dämlich und überflüssig. Dass man versucht, aus einem Produkt eine Marke zu machen, ist nachvollziehbar. Produkte sind kopierbar, austauschbar, günstiger herzustellen, im ungünstigsten Fall verschwinden sie völlig von der Bildfläche. Aber Menschen? Als hätten wir nicht genug damit zu tun, uns weiter zu entwickeln, sollen wir nun nach allen Regeln der (Marketing-)Kunst unseren Lebenslauf frisieren, professionelle Fotos von uns ins Internet stellen und unsere Marke genau definieren.

Vor allem dann, wenn uns plötzlich einfällt, mal etwas ganz anderes zu machen. Dann nämlich wird es unangenehm. Jemand könnte ja unsere alte Identität im Internet entdecken und uns mit unserer abgestreiften Marke verwechseln - wie furchtbar wäre das wohl? Also aufgepasst: Erst einmal eine Weile ganz zurückziehen, so eine Phase der Besinnung wirkt sehr glaubwürdig. In dieser Auszeit basteln wir an unserer neuen (Internet-)Persönlichkeit, legen uns eine neue Identität zu und tauchen dann mit entsprechendem Getöse wie Phönix aus der Asche wieder auf. Und überlegen uns natürlich einen triftigen Grund, warum wir uns eine neue Marke zulegen. Dieser darf aber nicht nach Flucht oder Versagen klingen, sondern muss wie ein geplanter Neuanfang wirken. So wie bei unserem Außenminister Guido Westerwelle, der auf einem kleinen Abstecher ins Ausland zu der Erkenntnis gelangte, sich nicht mehr als Parteivorsitzender zu präsentieren. Also verkündete er, er wolle der neuen Generation Platz machen.

Das war so richtig clever, perfektes (Selbst-)Marketing. Wie schreibt der werte Kollege in der Wirtschaftswoche: "Das mag ein durchschaubares Manöver gewesen sein. Das Kommunikationskonzept dahinter aber war genau richtig." Wie kann ein Konzept richtig sein, wenn alle Welt das Manöver durchschaut? Und warum sollte das Gleiche nicht jedem anderen passieren, der sich "neu erfindet"? Peinlich...

Rezension zum Thema:
Ich bin viele - aber wer eigentlich zurzeit? Wirtschaftswoche 23.5.2011

Freitag, 24. Juni 2011

Unbedingt lesen

Über 16.000 Artikel haben wir bei MWonline inzwischen gelesen, da wundert es nicht, dass wir immer seltener einen Beitrag mit Top-Bewertungen versehen. Vieles, ja das Meiste ist irgendwie schon mal da gewesen, immer häufiger bleibt der Eindruck, in der Welt des Managements ist praktisch alles gesagt. Und dann fällt einem die Brand eins zum Thema "Respekt" in die Hand mit einem Beitrag über eine schwedische Schule, die Rinkeby Skolan im Norden von Stockholm. Sie liegt wohl in einer Gegend, in der kaum noch Schweden leben, sondern fast 100% Ausländer, vor allem Asylanten aus den Krisengebieten der Welt.

Das kaum Vorstellbare: Ihre Schüler schneiden bei landesweiten Vergleichen stets hervorragend ab. Dabei stand sie schon vor dem Aus, halb verfallen und abgebrannt. Unerwartet sagte ein Kandidat für den Rektorposten zu, stellte Bedingungen, die sonst kein Schulleiter stellen konnte, z.B. dass er die Lehrer selbst auswählen darf und dass er eng mit der Polizei kooperieren kann.

Das Ergebnis sind nicht nur besonders gute Schüler, sondern ein intaktes Sozialleben, enge Verbindungen zu Hochschulen und Unternehmen, keine Disziplinprobleme und viele staunende Gäste - darunter auch Manage aus Deutschland.

Der Beitrag ist unbedingt lesenswert. Ich weiß, ich warne immer davor, von einem "Erfolgsmodell" auf andere Bereiche zu übertragen nach dem Motto "Was wir lernen können von..." Diesmal mache ich es trotzdem.

Da ist einmal die starke Betonung der Kommunikation. Menschen brauchen ein "Betriebssystem": Ihre Sprache. Dort lernen die Kinder zu kommunizieren: Sprechen, schreiben, lesen und hören. Manche beherrschen fünf Sprachen. Es gibt "Zuhör-Übungen" im Unterricht! Ein schöner Satz: "Aufmerksames Zuhören ist der größte Respekt, den man erweisen kann."

Nicht Verhandeln von Regeln

Dann gibt es eine "Nicht-Verhandelbarkeit" von Regeln. Diese sind denkbar einfach: Nicht fluchen. Keine rassistischen Sprüche. Keine Gewalt. Die anderen nicht stören. Pünktlich sein. Jedem Respekt erweisen. Jeden ausreden lassen. Auch ein toller Satz: "Über bestimmte Dinge wird hier nicht diskutiert, damit über andere umso mehr geredet wird."

Der kleinste Regelverstoß wird sofort geahndet. Innerhalb von einer Viertelstunde sitzen Lehrer, Mentor und die Eltern zusammen, meist ist die einzige Maßnahme ein Gespräch mit dem Schüler. Mehr ist nicht nötig. Von der Schule verwiesen wurde noch niemand. Regelbrecher gelten nicht als cool, sondern als doof.

Ich glaube, dass hier Prinzipien deutlich werden, die weit über Schule hinausgehen. Klare Regeln, Zuhören, Konsequenz im Umgang mit Regelverstößen - wäre das nicht auch denkbar in Unternehmen?

Noch zwei Beispiele, die zwar nicht direkt übertragbar sind, aber indirekt schon: Der Unterricht beginnt sofort, nicht mit 20 Minuten Verspätung, wenn der letzte Schüler ruhig ist. Wie wäre es, wenn auch in Unternehmen Besprechungen püntlich begännen? Wie viel Zeit würde den Mitarbeitern geschenkt?

Es gibt keine gemeinsame Pausen für alle 340 Schüler. Hat jemals jemand im deutschen Schulwesen nachgedacht, wie fantasielos es ist, zur gleichen Zeit alle Klassenräume zu leeren und hunderte, wenn nicht tausende von Schülern an die frische Luft zu setzen? Und dann ständig Lehrer zum Aufpassen und Verhindern von Streitigkeiten einzuteilen?

Übertragen auf Unternehmen (aber nicht nur hierauf): Wie oft stellen wir tradierte Verhaltensweisen und Selbstverständlichkeiten in Frage?

Noch einmal: Unbedingt lesen! Ein Dankeschön der Brand eins!

Rezension zum Thema: 
Die Weltschule. Brand eins 5/2011

Dienstag, 7. Juni 2011

Mitarbeiterzufriedenheit und Vorstandsgehälter

Mitunter stolpert man über kurze Meldungen und glaubt seinen Augen nicht zu trauen. So wie bei dem Bericht über die variablen Bezüge der Vorstandsmitglieder der Telekom. Diese sollen nach einem Beitrag in der Financial Times Deutschland nicht mehr ausschließlich von finanziellen Zielgrößen abhängen, sondern auch von der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit. Das ist an sich schon eine bemerkenswerte Entdeckung, vermutlich nimmt da jemand die Balanced Scorecard ernst.

Wie sich das für richtige Manager gehört, setzen sich diese anspruchsvolle Ziele. Offenbar auch in Sachen Mitarbeiterzufriedenheit. Also gab es hier einen konkreten Wert, den man unterbieten wollte. Aber ach, die Mitarbeiter machten ihren Chefs einen Strich durch die Rechnung. Sie beklagten unter anderem, dass es mit den vorhandenen Ressourcen in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich sei, dem geforderten Qualitätsanspruch gerecht zu werden. Statt der angestrebten 62% in diesem Kriterium zufriedener Mitarbeiter waren es nur 59%. Der Vorstand verfehlte also sein Ziel - was ja vorkommen soll in einer nicht perfekten Welt.

Was nun? Wer meint, die Antwort läge doch auf der Hand, der glaubt in der Tat, er hätte es mit einer Satire zu tun. Wir erfahren, dass das verfehlte Ziel keineswegs zu reduzierten Vorstandsbezügen führt. Da man ja gelernt hat, dass kurzfristige Ziele extrem schädlich sind, wurde vereinbart, dass die Ergebnisse erst über einen Zeitraum von vier Jahren gehaltsrelevant sind. Also hat man noch drei Jahre Zeit, die Scharte auszumerzen.

Aber man ist offenbar noch viel lernfähiger. Manchmal muss man unrealistische Ziele auch anpassen. Genau das ist dann auch hier geschehen: Die Zielgrößen wurden geändert, offenbar traut man sich nach diesen Erfahrungen nicht mehr zu, die Mitarbeiterzufriedenheit in dem angestrebten Ausmaß zu erhöhen. Oder beabsichtigt auch in Zukunft nicht, die gewünschten Ressourcen zur Erreichung der Qualitätsziele zur Verfügung zu stellen.

Völlig verdutzt aber war ich, als ich las, dass einer der Vorstände seinen Vertrag nicht auf das neue System umgestellt hat: Personalvorstand Sattelberger. Da hätte mich mal die Begründung interessiert...

Rezension zum Thema:
Beschäftigte wischen Telekom Führung eins aus, Financial Times Deutschland 20.4.2011


P.S. Habe gerade versucht, das Bauherren-Büro der Telekom zu erreichen - vergeblich, nach längerem Klingeln ertönt regelmäßig ein Besetzt-Zeichen.

Sonntag, 5. Juni 2011

Eine Gewissensfrage

Sie werden als Berater angesprochen, ein totalitäres Regime in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung zu unterstützen. Ihnen ist durchaus bewusst, dass dieses Regime gnadenlos gegen Kritiker im eigenen Land vorgeht und Demokratie ein Fremdwort ist. Nehmen Sie den Beratungsauftrag (so Sie sich ihm denn gewachsen fühlen) an?

Ein Harvard Professor namens Dani Rodrik beantwortet in der Financial Times Deutschland die Frage ganz pragmatisch. Muss er auch, denn er hat selbst schon Diktatoren beraten. Seine Empfehlung: Wenn es denn den Menschen im Lande dient, darf man sich durchaus "die Hände schmutzig machen". Wenn Sie allerdings den Eindruck haben, Sie werden nur benutzt, um das Regime zu legitimieren, sollten Sie sich fernhalten.

Ich finde es immer sehr reizvoll mit Vergleichen aus anderen Bereichen zu arbeiten. In dem Artikel führt Herr Rodrik folgendes Beispiel an: Ein Terrorist hat Geiseln genommen und verlangt für alle Essen und Getränke. Wenn Sie ihm dies gewähren, helfen sie den Geiseln, aber auch den Terroristen. In diesem Fall ist das Wohl der Geiseln wichtiger! Mit anderen Worten: Helfen Sie dem Diktator, sein Land wirtschaftlicher erfolgreich zu machen, geht es auch den Menschen besser. Und das ist doch prima.

Ich finde, dieser Vergleich hinkt ganz fürchterlich. Der Terrorist engagiert Sie nicht für viel Geld, sondern droht die Geiseln zu ermorden, wenn man seinen Forderungen nicht nachkommt. Ein Berater, der einen Auftrag von Schurken annimmt mit der Rechtfertigung, den armen Unterdrückten zu helfen, ist meines Erachtens ein übler Heuchler.

Falls Sie mir in diesem Moment zustimmen sollten, warten Sie noch einen Moment. Ein Firmenchef bietet Ihnen einen Beratungsauftrag an. Sie wissen, dass er ein Tyrann ist und seine Leute knechtet. Lehnen Sie den Auftrag ab?

Eine Gewissensfrage...

Rezension zum Thema:
Guter Diktator, schlechter Diktator, Financial Times Deutschland 21.4.2011