Dienstag, 24. Juli 2012

Die drei Gs

Das ist bitter, aber realistisch. Ein Wirtschaftspsychologe beschreibt in der Brand eins, dass die offizielle Darstellung der Unternehmenskultur (von wegen "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt") wenig mit der täglichen Praxis im Betrieb zu tun hat. Da wird dann gemeinsam mit den Führungskräften eine neue Leitlinie erarbeitet, aber fragt man später, ob sie auch gelebt wird, dann erhält man ernüchternde Antworten. Sie werden nicht ernst genommen, eher belächelt nach dem Prinzip der drei Gs: Gelesen, gelacht, gelocht.

Ziemlich nah an der Wirklichkeit. Ich habe auch viele Plakate mit schönen Bildern und fein formulierten Leitsätzen in Fluren und Besprechungszimmern hängen sehen, mit ähnlichen Reaktionen. Eine gewachsene Firmenkultur ändert man nicht mit einem Leitbildprozess, zumindest nicht über Nacht. Und für einen längeren Prozess fehlt in der Regel die Zeit - schon allein deshalb, weil das verantwortliche Management gar nicht so lange im Amt ist.

Rezension zum Thema:
Krankheit als Weg, Brand eins 6/2012

Sonntag, 22. Juli 2012

Zahlenspiele

Immer wieder erheiternd. Zitat: "Von den über 50-Jährigen nimmt lediglich jeder Fünfte an einer betrieblichen Weiterbildung teil..." Das klingt erschreckend, oder? Auf jeden Fall klingt es nach wenig. Die erste Frage lautet: Auf welchen Zeitraum bezieht sich die Aussage? Pro Jahr? Im gesamten Verlauf ab dem 50sten Lebensjahr?

Aber lesen wir weiter: "... fünf Prozent weniger als der Durchschnitt." Versuchen wir das mal zu verstehen. Im Durchschnitt nehmen also 25% aller Arbeitnehmer an einer betrieblichen Weiterbildung teil, richtig? Dann bezieht sich das wohl doch auf den Zeitraum eines Jahres - hoffe ich mal. Sind da die über 50-Jährigen mit einberechnet? Dann würden diese ja den Schnitt noch nach unten ziehen, beim Rest ist die Quote also noch höher.

Um mit diesen Zahlen etwas anfangen zu können, müsste man verschiedene Altersgruppen vergleichen. Vielleicht heben ja die unter 30-Jährigen den Schnitt gewaltig an. Vielleicht sind es auch tatsächlich die Älteren, die seltener auf Trainings gehen. Man weiß es nicht.

Vorsicht mit diesen Statistiken, die mal so in einem Nebensatz eingeflochten werden. Eh wir uns versehen, wird ein Trend draus...

Rezension zum Thema:
Hungrig im Hirn, Wirtschaftswoche 25/2012

Donnerstag, 19. Juli 2012

Spaß wichtiger als Macht

Es gibt Menschen, die sind gar nicht so scharf auf eine große Karriere. Konkrete Ziele haben sie nicht und können solche folglich auch nicht klar formulieren. Sie erfüllen ihre Aufgaben und warten darauf, dass man sie entdeckt. Und sie arbeiten, weil es ihnen Spaß macht. Oder besser: Ihnen ist es wichtiger, Spaß bei der Arbeit zu haben als Macht und Einfluss. Ihnen fehlt einfach der Wille zur Übernahme von Führungsverantwortung. Stattdessen kümmern sie sich lieber um ihre Familie. Sie sorgen dafür, dass der Haushalt vernünftig organisiert wird und delegieren Hausarbeit ungern an Fremde. Schon gar nicht die Betreuung der eigenen Kinder. Und wenn sie mit Kollegen zusammensitzen, dann ist es ihnen unangenehm oder eher unwichtig, über Berufliches zu sprechen, stattdessen geht es auch hier mehr um das Familienleben und die Kinder. Würde man ihnen eine Stelle anbieten, die es ihnen ermöglicht, auch mal früher nach Hause zu gehen, um dort nach dem Rechten zu schauen oder gar verstärkt von zu Hause aus zu arbeiten, würden sie sofort zusagen.

Mal angenommen, Sie sind auf der Suche nach einer potenziellen Führungskraft, die Ihr Unternehmen voranbringen soll. Würden Sie einen der oben beschriebenen Menschen einstellen?

Vermutlich haben Sie es schon erraten: Die Rede ist von Frauen. Oder besser: von deutschen Frauen. Allseits wird gefordert, mehr von ihnen in Spitzenpositionen zu befördern, aber offenbar liegt ihnen selbst gar nicht so viel daran. Ein Klischee?

Die Aussagen stammen nicht von Männern, sondern sind einer Interviewrunde mit hochrangigen Managerinnen entnommen, die im Ausland aufgewachsen und in deutschen Unternehmen tätig sind und von daher einen etwas anderen Blick auf das Thema "Frau und Karriere" haben. Ernüchernd? Oder einfach nur realistisch?

Allerdings sehen auch diese Managerinnen die Ursache für die Unterbesetzung von Führungspositionen durch Frauen nicht allein bei diesen selbst. Den Arbeitgebern attestieren sie, sich nicht wirklich um gute Frauen zu bemühen. Sie haben noch nicht verstanden, wie wichtig es ist, Vielfalt im Unternehmen zu fördern.  Sie pflegen immer noch die Präsenzkultur, nur wer regelmäßig und lange am Arbeitsplatz zu finden ist, der kann etwas werden. Innovative Modelle wie in anderen Ländern findet man selten, z.B. dass sich Führungskräfte einen Job teilen.

All das hat natürlich auch etwas mit der gesellschaftlichen Einstellung zu tun. Zitat: "Wenn eine Frau bei einem Vorstellungsgespräch sagt, sie habe drei Kinder, schlägt der Personaler die Hände überm Kopf zusammen. Erzählt ein Mann von seinen Kindern, ist er der Held, der Verantwortung übernehmen kann." Es ist auch nicht der Mann, der auf das kranke Kind aufpasst, wenn die Betreuung ausfällt. Und immer noch gelten Frauen als Rabenmutter, die bald nach der Geburt der Kinder wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren.

Ich finde die Darstellung der komplexen Zusammenhänge in der Diskussion der Managerinnen ziemlich gelungen. Ebenso die realistische Einschätzung, dass eine Frauenquote zwar keine ideale Lösung darstellt, aber ein Signal. Dass durch den Druck der Politik Dinge schneller in Bewegung kommen und deutlich macht, dass eine Veränderung tatsächlich gewünscht wird.

So viel ist sicher: Jede Veränderung bei diesem Thema wird viel Zeit brauchen. Eben weil es komplex ist und Veränderungen auf den Ebenen der Gesellschaft, der Unternehmen und des Individuums erfordert. Womit unter "Individuum" nicht nur die einzelne Frau, sondern auch der dazugehörende Partner zu verstehen ist...

Rezension zum Thema:
Sie wollen keine Macht, Wirtschaftswoche 24/2012

Montag, 9. Juli 2012

Doch kein rasches Wachstum

Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Devise für junge Unternehmen lautete: Wachstum, aber so schnell wie möglich. Nur wer in kurzer Zeit eine erhebliche Größe und Bekanntheit erringen konnte, der hatte angeblich eine Chance, auf dem Markt zu bestehen. Das galt vor allem im Internet. Und so wurden Unsummen ins Marketing gesteckt, große Mannschaften aufgebaut und richtig geklotzt. Bis die erste Blase platzte.

Die gute Nachricht: Der Mensch ist offenbar doch lernfähig. Jetzt lesen wir, dass vorschnelles Wachstum für Start-up lebensbedrohlich sein kann. Statt alle Ressourcen ins Marketing zu stecken, sollten sich die Gründer lieber um ihr Geschäftsmodell kümmern, die Qualität ihres Produktes verbessern und neue Ideen in kleinen Pilotprojekten testen, als sofort das große Rad zu drehen.

Auch ein guter Rat: Besonders viel Sorgfalt sollten die Gründer auf die Auswahl ihrer Mannschaft legen. Die erste Generation prägt das Unternehmen wie keine andere, sie bildet praktisch die DNA der Firma und formt damit die Kultur auf Jahre. Allein dabei wird eigentlich klar, dass so etwas Zeit braucht und bei schnellem Wachstum gar nicht möglich ist.

Was aber sollte das dann mit dem Wachstumswahn? Geht es heute nicht mehr darum, rasch bekannt zu werden, damit man nicht überholt und abgehängt wird von anderen, die schneller sind? Ich habe den Eindruck, dass inzwischen auch im Internet die Vielfalt so groß ist, dass diese Hypothese kaum noch zu halten ist. Wie übermächtig erschien doch Amazon, wo man inzwischen aber auch nahezu alles bestellen kann. Gibt es deshalb keine anderen Versandhändler im Internet mehr? Es gibt sie, und offenbar ist da noch Platz für mehr.

Bleibt nur noch ein Grund für Unternehmen, das ganz große Rad zu drehen: Den Investoren ein gutes Gefühl zu geben. Wer schnell wächst, der demonstriert damit Erfolg, und das beruhigt die Geldgeber.
Hoffen wir, dass auch sie gelernt haben und den Unternehmen mehr Zeit geben, um ein tatsächlich tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln.

Rezension zum Thema:
Schön schlank, Wirtschaftswoche 23/2012